Dienstag, 4. Februar 2020

"1917": Sam Mendes und Roger Deakins in Hochform




Ich mag keine Kriegsfilme. Es ist einfach nicht meine Art Film, häufig brutal und dazu noch deprimierend. Denn Kriegsfilme sind heutzutage so gut wie immer auch Anti-Krieg-Filme, die uns die Graumsamkeit und Unmeschlichkeit eines Krieges vor Augen führen sollen, und natürlich keine Propaganda mehr. Und so folgt man meist einer Hauptfigur oder auch einer kleineren Gruppe, die irgendwann mitten im Schlachtengetümmel ist, rechts und links werden Menschen im Kugelhagel niedergemetzelt, evtl. hält man auch gern noch drauf, wenn Körperteile durch Granaten weggesprengt werden, oder ein Helikopter vom Himmel stürzt.

Die Hauptfiguren vollbringen irgendwelche Heldentaten, erfüllen ihre Mission, beenden vielleicht sogar den ganzen Krieg und werden gefeiert – oder sterben zumindest effektvoll als Helden. Und am Ende wird uns wieder gesagt, wie schrecklich Krieg doch ist und dass wir das doch bitte sein lassen sollen. Da sterben schließlich Menschen auf grausame Art. Und wir haben zwei Stunden der Inszenierung eben dieser Todesszenen zugeschaut; den Explosionen, dem Schlachtengetümmel, den Stunts der Kampfflieger, den verstümmelten Körpern, die man so auch aus dem letzten Horrorfilm kennt.


Denn immer ist ein Kriegsfilm, der uns tatsächlich Schlachten zeigt, irgendwo auch ein Spektakel. Und die abgehärtete Jugend von heute sitzt da und denkt sich im schlimmsten Fall nur, was für eine krasse coole Action sie da sieht. Leute, denen der Kopf weggeschossen wird, das kennen sie schließlich aus dem letzten Tarantino; abgetrennte Körperteile aus „Saw“ oder „Hostel“. Denn ja, es werden die Grausamkeiten des Krieges gezeigt, denn wir machen keine Propaganda – aber trotz aller Ernsthaftigkeit braucht es eben doch oft auch Spektakel. Das will das Publikum sehen. Und so verhallt häufig dann doch der vorgesehene Effekt – war schon schlimm damals, aber die Action war schon auch toll.


Natürlich sind nicht alle Filme so, es gibt auch Vertreter mit niedriger Altersfreigabe, die dennoch sehr gut funktionieren und das Publikum fesseln können. Aber viele der Filme, die häufig als moderne Klassiker des Genres angesehen werden, bedienen dieses Spektakel auf gewisse Weise – irgendwann gibt es eine Schlacht, einen Helikopterabsturz, einen Angriff auf beengtem feindlichen Gebiet.

Und deswegen mag ich „1917“. Sehr sogar. Es ist ein Kriegsfilm, den ich mir gerne noch einmal anschauen werde, weil er extrem effektiv und großartig anzusehen ist. Für mein Empfinden hat dieser Film die Grausamkeit und Sinnlosigkeit des Krieges besser illustriert als manch „lauterer“ Vertreter des Genres. Ich werde „Der Soldat James Ryan“ vermutlich nie mehr gucken, „1917“ dagegen schon.

Der Film beginnt mit den beiden jungen Soldaten Blake (Dean-Charles Chapman) und Schofield (George MacKay), denen der Auftrag erteilt wird, einer neun Meilen entfernten Division eine wichtige Nachricht zu überbringen. Die Division soll einen für den nächsten Tag geplanten Angriff absagen, denn neueste Informationen zeigen, dass sie in eine Fallen laufen würden. Da Blakes älterer Bruder zu eben dieser Division gehört, wird der Auftrag zu einer besonders persönlichen Mission. Auf dem Weg liegen das tückische Niemandsland zwischen den Schützengräben und die zerbombte Stadt Ecoust, sowie die allgegenwärtige Angst, jederzeit auf den Feind treffen zu können.


Die beiden Hauptdarsteller sind hervorragend. MacKay kennt man u. a.  aus „Captain Fantastic“ mit Viggo Mortensen. Er spielt den eher vorsichtigen, etwas älteren Soldat mit bereits ernsthafter Kampferfahrung; Chapman's Blake hingegen ist offensichtlich noch nicht so lange an der Front und sieht das Ganze noch als Chance, Ehre für die Familie und das Vaterland zu bringen.


Regisseur Sam Mendes ist gerade bei den Charakteren ein Meister in „Show Don’t Tell“. Es gibt keine typischen „Lagerfeuerszenen“, wo die Protagonisten sich etwas aus ihrer Kindheit erzählen oder über die Liebste sinnieren, die sie heiraten werden, wenn sie nach Hause kommen. Die (wenigen) Dialoge machen die Charaktere lebendig und geben einen kleinen Einblick, wie sie ticken. Gerade der verschlossenen Schofield gewinnt mit der Zeit an Profil. Die Natur des Films (Mission mit engem Zeitlimit) bietet uns nicht viel Gelegenheit, die Charaktere wirklich zu vertiefen – aber das muss sie auch gar nicht. Wir bekommen die Essenz der Charaktere gezeigt, man leidet mit ihnen, und gleichzeitig sind sie eben nur zwei von Millionen von Soldaten, die genauso sind wie die beiden.
Unterstützt werden die beiden eher unbekannten Hauptdarsteller durch berühmte Namen in kleinen, aber wichtigen Nebenrollen. Colin Firth, Benedict Cumberbatch, Mark Strong – sie alle bringen eine gewisse Gravitas mit, die die Autorität ihrer Charaktere unterstreicht. Besonders im Gedächtnis blieb mir auch Andrew Scott („Sherlock“, „Fleabag“), der am Anfang als zynischer Leutnant den beiden Soldaten den Weg erklärt.

Wenn über „1917“ berichtet wird, dann auch immer im Zusammenhang mit Kameraführung und Schnitt. Der Film ist nämlich so gedreht, als gäbe es keine Schnitte (bis auf einen so gewollten „Blackout“). Manche sehen dies als unnötigen Gimmick an, ich fand jedoch, dass es die Spannung sehr stark erhöhte. Der Zuschauer bekommt dadurch keine Atempause, sondern ist quasi die ganze Zeit „mit dabei“ - ist so angespannt wie die Charaktere, die genau so wenig wie wir wissen, ob hinter der nächsten Biegung nicht ein feindlicher Soldat lauert. Die erste Hälfte im Niemandsland und den deutschen Schützengräben wirkt beinahe wie ein Horrorfilm, so wird hier an der Spannungsschraube gedreht.
Die Kameraarbeit von Altmeister Roger Deakins ist exquisit und sollte ihm mit sehr großer Wahrscheinlichkeit seinen zweiten Oscar einbringen. Er findet grandiose Bilder, sei es das abstoßende Niemandsland, ein reißender Fluss, ein Wettlauf mit der Zeit am Rand des Schützengrabens oder eine nur von Feuer und Leuchtraketen erhellte Stadt bei Nacht. Einige dieser Szenen sind tatsächlich Szenen für die Ewigkeit, so einprägsam sind sie. Die zweite Hälfte des Films hat beinahe schon eine surreale Anmutung, was sich durch die vorangehenden Geschehnisse aber tatsächlich erklären lässt.


Ebenfalls wirklich toll sind Sounddesign und Musik. Thomas Newman unterstützt mit seinem Score den Film hervorragend. Hinzu kommt ein wunderschön wehmütiger Moment, in welchem das Lied „Poor Wayfaring Stranger“ gesungen wird.



Warum nun meine Einleitung über Spektakel in Kriegsfilmen? Weil diese Art Spektakel in „1917“ fast vollständig fehlt. Wenn man so will, kann man die Art der Kamerarbeit als Spektakel bezeichnen, wobei sie zumindest mich nie vom Geschehen abgelenkt, sondern dieses im Gegenteil noch unterstützt hat. Aber wir sind in keiner Schlacht, notwendige Kämpfe sind schnell vorbei und der einzige wirklich heroische Moment ist tatsächlich auch verdient (und selbst der wird danach wieder gedämpft).
Und doch zeigt der Film die Grausamkeit und Sinnlosigkeit des Krieges sehr effektvoll und vermutlich sogar nachhaltiger als viele andere Kriegsfilme. Denn wir sehen das Nachspiel. Das Niemandsland besteht aus Schlamm, Granatenkratern, Stacheldraht – und Leichen. Leichen, Ratten, Tierkadaver. Von der Kamera nicht effektheischerisch eingefangen, sondern als Fakt präsentiert. Da müssen die beiden Hauptfiguren eben dran vorbei. Dies ist auch nicht das einzige Mal, dass die Opfer des Krieges gezeigt werden. „Niemanden zurücklassen“ - dafür bleibt im Krieg dann doch meist keine Zeit. Und obwohl die Mission wichtig ist, ist es eben doch nur ein weiterer Tag in diesem Krieg. Und am nächsten Tag wird es wieder genauso sein, man macht weiter, rennt in sein Verderben, Tausende sterben – für Linien auf einer Karte.

Der Film hat eine starke Nachwirkung, ich hatte danach wirklich das Bedürfnis, das zu diskutieren und zu überlegen, warum mir der Film so gut gefallen hat. Ja, die Handlung ist nicht gerade verschachtelt, aber das muss sie ja auch nicht sein. Simpel aber dafür effektiv. 


Fazit:
Hervorragend gespielt und gekonnt inszeniert, ist "1917" ein Kriegsfilm, den man tatsächlich gesehen haben muss. Je größer die Leinwand, desto besser.

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