Yann Martels mit diversen Preisen ausgezeichnet Roman "Schiffbruch mit Tiger" galt lange als unverfilmbar, ganz einfach weil der Großteil der Handlung auf einem kleinen Rettungsboot spielt und einen bengalischen Tiger beinhaltet. Aber wie das so mit "unverfilmbaren" Filmen ist, aufgrund der heutigen Technik ist doch deutlich mehr machbar als man zuerst für möglich gehalten hat (s. z. B. "Der Herr der Ringe").
Und so bin ich Ang Lee doch sehr dankbar, dass er sich Martels Buch angenommen hat. Nachdem diverse Regisseure über die Jahre mit der Verfilmung des Romans in Verbindung gebracht worden waren (u. a. Alfonso Cuarón und M. Night Shyamalan ), ist es nun Lee geworden, der schon oft ein Händchen für Literaturadaptionen bewiesen hat ("Sinn & Sinnlichkeit", "Brokeback Mountain") - und "Schiffbruch mit Tiger" ist in der Tat genau beim Richtigen gelandet.
Der Film hält sich sehr eng ans Buch. Der unter Schreibblockade leidende Buchautor Martel (Rafe Spall) und besucht den nach Kanada ausgewanderten Inder Pi Patel (Irrfan Khan). Dieser habe eine unglaubliche Geschichte zu erzählen, so hörte er. Patel wuchs in Pondicherry auf, wo sein Vater einen Zoo unterhielt, und trat als Jugendlicher (Suraj Sharma) sowohl dem Christentum als auch dem Islam bei, ganz einfach, weil es für ihn Sinn machte. Aufgrund der gesellschaftlichen Unruhen beschließt die Familie mitsamt der Zootiere nach Kanada auszuwandern. Auf der Überfahrt gerät das Schiff in einen Sturm und sinkt. Allein Pi kann sich auf eines der Rettungsboote retten - zusammen mit einem verletzten Zebra, einem Orange Utan, einer Hyäne und dem Tiger Richard Parker. Die Zahl der Tiere wird schnell dezimiert und was für Pi folgt sind 227 Tage auf See, in gesellschaft eines Tigers.
Wie auch im Buch nimmt sich der Film die Zeit, um uns den jungen Pi näher zu bringen. Manch einer mag diese Vorgeschichte zu lang finden ("Wann kommt denn endlich der Tiger?"), aber es ist notwendig um einerseits zu verstehen, warum sich Pi so verhält wie er es tut, und andererseits, damit der Zuschauer überhaupt eine Verbindung zum Hauptcharakter aufbauen kann. Ansonsten ließe einen der Schiffbruch vermutlich ziemlich kalt. Auch Pis starker Glauben wird immer wieder am Rande thematisiert, und sein Überlebenskamp auf See gerät gleichzeitig zum ultimativen Glaubenstest.
Die optische Umsetzung ist eine wahre Augenweide. Der Untergang der Tsimtsum im Pazifiksturm ist bildgewaltig inszeniert und gerade für die anschließende Zeit auf dem Meer findet Lee poetische Bilder, die die Schönheit, aber auch die unglaubliche Weite des Ozeans perfekt widerspiegeln. Fluoreszierende Fische und Wale, ein Tauchgang in die Tiefen des Mariannengrabens und eine von Erdmännchen bevölkerte Algeninsel - Lee findet die richtigen Bildern, um den Zuschauer immer wieder staunen zu lassen. Das sehr gute 3D unterstützt diesen Effekt nur.
Tiger Richard Parker ist fantastisch animiert und wirkt sehr real. Wie er und Pi sich aneinander gewöhnen und eine Art Zweckgemeinschaft eingehen, ist spannend und hin und wieder sogar recht lustig. Wie Pi selbst an einer Stelle sagt, ist der Tiger es, der ihn im Grunde dazu zwingt, seinen Verstand nicht zu verlieren und irgendwie durchzuhalten.
An den Leistungen der Schauspieler gibt es nichts zu meckern. Rafe Spall und Irrfan Khan geben ein gutes "Interviewpaar" ab; man glaubt Spall, dass sein Charakter von der Geschichte Pis fasziniert ist; und Khan bringt die passend ruhige und nachdenkliche Art mit, die den erwachsenen Pi ausmacht, der die Geschehnisse nun mit der nötigen Distanz betrachten kann. Newcomer Suraj Sharma als jugendlicher Pi hat einen Großteil des Films zu tragen und das macht er überzeugend und sympathisch. Vielleicht hätte ich mir hin und wieder noch ein wenig mehr Intensität gewünscht, allerdings hat der Roman natürlich den Vorteil, dass er sich sehr viel mehr Zeit für das Überleben auf See nehmen kann und wir auch mehr über Pis Gedanken erfahren.
Dankbar bin ich den Machern, dass sie sich bei den Geschehnisse im Rettungsboot zu Beginn ziemlich zurückhalten. Das war im Roman doch sehr viel deutlicher dargestellt worden und nichts für Zartbesaitete. Schön auch, dass die Coda am Ende (das Gespräch mit den Vertretern der Versicherungsgesellschaft) eingeschlossen wurde. Dieser Teil ist im Roman nicht jedermanns Sache, aber für mich unterstreicht er die endgültige Aussage deutlicher (denn nicht vergessen, am Anfang steht die Behauptung, dass der Leser nach dieser Geschichte an Gott glaubt). Und letztlich kann auch im Film jeder selbst entscheiden, was er glauben möchte.
Fazit: Ob man am Ende nun (mehr) an Gott glaubt oder nicht, entgehen lassen sollte man sich "Life of Pi" auf keinen Fall. Der Film und seine wunderschönen Bilder entwickeln einen richtigen Sog, der den Zuschauer eintauchen lässt in Pi Patels unglaubliche Geschichte.
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1 Kommentar:
Lesenswertes zum sehenswerten Film:
http://faszinationmensch.com/2012/12/30/leben-mit-pi-oder-leben-mit-phi
Gruß IP
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