Mittwoch, 24. November 2010
Iny Lorentz: "Die Wanderhure"
Dieses Buch habe ich deswegen gelesen, weil es in letzter Zeit (v. a. durch den TV-Film mit Alexandra Neldel) in aller Munde war und noch dazu ein Bestseller ist. Mit mehreren Fortsetzungen. Außerdem ist es noch nicht lange her, dass ich ein sehr interessantes Sachbuch über das Leben im mitelalterlichen England gelesen habe. Einen Versuch war es also wert.
Kurz zum Inhalt, bevor ich mich über selbigen auslasse: Die 17-jährige tugendhafte Kaufmannstochter Marie solle den Anwalt Ruppertus heiraten. Dieser entpuppt sich jedoch als hinterhältiger und skrupelloser Mitgiftjäger. Am Abend vor der Hochzeit wird sie von gekauften Zeugen der Hurerei beschuldigt, schließlich vom Gericht für schuldig befunden und aus der Stadt verbannt. Halbtot wird sie von der Wanderhure Hedwig aufgelesen und entscheidet sich widerwillig ebenfalls für ein solches Leben. Ihr einziges Ziel ist nun die Rache an den Männern, die an ihrem Unglück Schuld sind.
Es ist nun schon ein bisschen her, seit ich diesen Roman gelesen habe und je mehr Zeit verstreicht, desto genervter werde ich. Das liegt vor allen Dingen daran, dass bestimmte Dinge so viel besser hätten gehändelt werden können - ganz ehrlich, ich habe kein sonderliches Talent für Geschichten, aber wenn selbst ich beim Lesen denke, "Das wäre so aber viel plausibler!"... naja, dann gehört das Buch sicherlich nicht zu den besten, die ich bisher gelesen habe.
Warum Ruppertus sich am Anfang so eine unglaubliche Mühe macht und auf einen Plan zurückgreift, bei dem es auf das Schweigen von viel zu vielen Leuten ankommt, will sich mir nicht erschließen - nun, vielleicht mag er das Risiko. Nach wie vor verstehe ich auch nicht, warum er als Bastardsohn eines Grafen, der ihn lange Zeit sogar ignoriert hat, als ach-so-tolle Partie gilt. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Maries Vater ein gut situierter Kaufmann ist, der sicherlich nicht die geringsten Probleme hätte, seine Tochter mit einem ebensolchen zu verheiraten.
Dann Marie selbst - ich kann mit diesem Charakter überhaupt nichts anfangen. Am Anfang ist sie ein naives, behütet aufgewachsenes Mädchen und nach fünf Jahren als Wanderhure... eine naive, auf Rache sinnende Frau. Okay, sie will Rache. Alles klar, ist auch absolut verständlich. Nur - ist das alles? Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass die Autoren nichts aus ihr rausholen. Marie als Charakter hat mich kalt gelassen. Natürlich tat sie mir am Anfang sehr leid, aber später hat sich mich oft einfach nur frustriert. Sie trifft dumme Entscheidungen, macht es sich teilweise selbst schwerer als nötig (v. a. im Bezug auf ihren Jugendfreund Michel) - und hat dann oft einfach unverschämtes Glück. So viele Zufälle, meine Güte. Glückliche Fügungen, Deus ex Machina, lazy writing - es gibt viele Bezeichnungen dafür. Und am Ende wird einfach wieder über ihren Kopf hinweg entschieden und sie... sagt nichts dazu. Wo sie sich vorher noch gegen die Großen und Mächtigen behauptet hat. Ist klar. Dieses Ende ist z. B. auch etwas, das man ganz leicht besser hätte lösen können. Aber was soll's.
Das Männerbild ist auch sehr einseitig. Dass es ein paar Mistkerle in einem Buch über eine Wanderhure geben muss, ist klar, wo bliebe denn sonst das Drama. Aber jeder? Jeder? Bis auf vielleicht drei oder vier Männer ist eigentlich jeder ein Schwein. Sobald Marie irgendwo auftaucht, verlieren die Männer offensichtlich die Fähigkeit, mit dem Gehirn zu denken. Ständig wird sie lüstern angestarrt oder mit Blicken ausgezogen. Ganz besonders böse sind offensichtlich Mönche - oder generell Geistliche (darunter findet sich aber immerhin eine Ausnahme). Das ist wohl ein Thema des Buches: Die Geistlichen im Mittelalter waren alle total versaut und haben sich einen Dreck um ihre Gelübde geschert. Sicherlich gab es auch schwarze Schafe, aber alle?! Echt jetzt? For real?!
Zu diesen größeren Kritikpunkten kommen dann noch viele kleine hinzu, die mich beim Lesen aber teilweise sogar noch mehr genervt haben. Als Leser wird man z. B. ständig darann erinnert, dass Marie wunderschön ist. Engelsgleich. Hat ein Madonnengesicht usw. Und das selbst noch nach fünf (5!) Jahren als Wanderhure. Im Mittelalter. Jaaa, ich weiß, dass sie eine brave Hure ist, die sich schön sauber hält - aber trotzdem. Wir sind im Mittelater. Fünf Jahre als Wanderhure wird man ihr ansehen. Damals 20 ist ungefähr das heutige 40, aber ohne ausgewogene Ernährung, Schönheits-OPs, Zahnpflege und Fitnesspläne.
Egal. Hin und wieder schleichen sich auch moderne Ansichten hinein (ja, Marie, du hast einen schönen flachen Bauch und wirst niemals so dick werden wie die Berta, denn dick ist gleich hässlich), der Schreibstil ist sehr einfach und arbeitet oft mit Wiederholungen. Das merkt man irgendwann. Ich habe mich später ertappt, wie ich bei ständig wiederkehrenden Phrasen genervt mit den Augen rollte. Die mittelalterliche Welt wird meist nur recht vage beschrieben - wer sich gerade für solche Dinge interessiert, sollte wohl doch zu anderen Autoren greifen.
Wenn man die Geschichte runterbricht, handelt es sich bei "Die Wanderhure" eigentlich um ein Märchen: Hübsches, unschuldiges Mädchen wird Opfer von Intrigen, muss viel Leid erdulden, aber am Ende wird alles gut und die Bösen werden bestraft.
Ich denke, dass die Geschichte durchaus Potential hat, nur hätte man sie besser umsetzen können. Das Buch liest sich jedoch sehr schnell runter und ist im Grunde leichte Unterhaltung für Zwischendurch. Wen die Handlung anspricht, sollte mal reinlesen, ob es zusagt. Ich werde mir die Folgebände wohl jedoch schenken. Meine Nerven brauchen Erholung.
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