Mittwoch, 10. März 2010

Scott Lynchs "Die Lügen des Locke Lamora"

Locke Lamora ist der Anführer einer kleinen, aber feinen Diebesbande, die sich die Gentleman-Ganoven nennt. Er ist zudem verdammt clever, ein Schauspielgenie und der geborene Lügner. Im Gegensatz zu den anderen Dieben und Tunichtguten im Stadtstaat Camorr hält er sich jedoch nicht an die Abmachung zwischen dem Adel und dem Oberhaupt der Diebe, nur Kaufleute und dergleichen auszurauben, sondern richtet sein Augenmerk ausschließlich auf die höhere Gesellschaft. Lockes neuester Coup läuft ebenfalls zu Beginn wie geschmiert, aber solche Glückssträhnen können ja nicht ewig währen. Durch das Auftauchen eines eiskalten Mörders, der immer mehr Bandenchefs aus dem Weg räumt, ist das eventuelle Scheitern des Coups noch Lockes geringstes Problem, denn nicht nur sein Leben steht auf der Kippe.

Eher durch Zufall bin ich auf den Autor Scott Lynch aufmerksam geworden. Sein Roman „Sturm über roten Wassern“ lachte mich in der Buchhandlung an, weil Schiffe auf dem Cover waren. Ja, seit „Fluch der Karibik“ werde ich automatisch von Dingen mit Schiffen drauf magisch angezogen. Ich kann es mir auch nicht erklären.Mein Interesse war geweckt und nachdem ich herausgefunden hatte, dass es sich bei „Sturm über roten Wassern“ um den zweiten Roman einer Reihe handelte, musste der erste natürlich sogleich besorgt werden – „Die Lügen des Locke Lamora“.

Der Roman fällt  unter die Sparte Fantasy – er spielt in einer fremden, aber der unseren gar nicht so unähnlichen Welt; Camorr erinnert mit seinen von Kanälen und Seen geprägten Stadtbild an Venedig und es wird Alchemie benutzt, sie spielt aber an sich keine zentrale Rolle und dient vor allem dazu, den Leuten das Leben einfacher zu machen (wovon natürlich auch die ganzen Ganoven profitieren). Zwerge, Elben und dergleichen habe ich jedoch zumindest im ersten Band nirgends entdecken können und sie auch nicht vermisst.Lynch bietet uns keine Landkarte dieser Welt und sowieso werden Hintergrundinformationen eher nach und nach eingestreut, sodass sich zum Ende des Buches ein recht umfassendes Bild zumindest von Camorr ergibt.

Lynch hat seinen Roman in zwei Erzählebenen aufgeteilt: Die Haupthandlung im Jetzt, die sich mit Lockes neuestem Coup und allen dazugehörigen Komplikationen beschäftigt, und die sogenannten Zwischenspiele, die entweder Einblicke in Lockes Kindheit und seine ersten Schritte zum Gentleman-Ganoven geben, oder sich mit der Kultur Camorrs beschäftigen. Lynch hat ein unglaubliches Talent dafür, diese Zwischenspiele so geschickt zu platzieren, dass man sich automatisch aufregt – zielsicher kommen sie meist an den spannendsten und/oder interessantesten Stellen. Man merkt jedoch sehr schnell, dass man aus ihnen auch immer wichtige Informationen über die Charaktere ziehen kann, die für die Handlung von Bedeutung sind. Auch die Hintergründe zur Camorr-Kultur sind interessant und meist kommt gleich darauf ein Kapitel, in dem Locke garantiert gegen eben jene Konventionen/Gesetze verstößt, die im Zwischenspiel beschrieben werden.

Der Schreibstil ist sehr flüssig und locker, meist mit einem leichten Augenzwinkern, was genau meinen Geschmack trifft (einen ganz guten Überblick seines Stils bietet auch seine Homepage). Manch einen mögen vielleicht die vielen Kraftausdrücke stören, allerdings passen diese durchaus zu den Charakteren (es handelt sich hier schließlich um alle möglichen Arten von Verbrechern, da kann man keine Zimperlichkeit erwarten). Sowieso ist dieses Buch sicherlich nichts für jüngere Leser, da auch drastische Folterszenen vorkommen. Es wird draufgehalten und manches Mal hatte ich doch ein leicht flaues Gefühl im Magen. Dennoch bleibt die Handlung absolut glaubwürdig; selbst Folterszenen entwickelten sich ganz logisch aus den Geschehnissen heraus.

Die Charaktere haben mir durch die Bank weg sehr gut gefallen. Vor allem die Hauptfiguren sind glaubwürdig und haben alle so ihre Macken und Fehlerchen. Angenehm ist fand ich auch, dass es sich bei Locke nicht um den typischen Helden-Schönling handelt. Er ist nun mal ein Gauner und Lügner, und er ist deswegen so gut, weil er absolut durchschnittlich aussieht und gut darin ist, sich unauffällig zu verhalten.

Alles in allem war ich richtig begeistert von Lynchs erstem Roman. Über 800 Seiten, die sich runterlasen wie nix, mit einer spannenden Handlung, sympathischen Charakteren und einer guten Portion Humor. Da freu ich mich uneingeschränkt auf den zweiten Band, der schon in meinem Regal steht.

1 Kommentar:

Oellig hat gesagt…

Ich bin ja nicht so für das Genre Fantasy mit völlig fremden Welten inkl. Zwergen, Elfen und was da sonst noch so an Kreaturen rumfleucht und kreucht, aber da insbesondere letztgenannte in diesem Roman nicht vorkommen, könnte sogar ich an sowas Gefallen finden. Klingt jedenfalls nicht schlecht^^.

Die Sache mit den unterschiedl. Erzählebenen bzw. -perspektiven und den geschickt plazierten Zwischenspielen kenne ich z.B. sehr gut von ein bzw. zwei meiner favorisierten Krimiautorinnen. Sie machen das (fast) in all ihren Thrillern. Und es bringt mich jedesmal an den Wahnsinn. Weil sie das nämlich sehr bewußt und genau dann immer machen, wenn es grad unerträglich spannend in der Haupthandlung ist und man unbedingt wissen MUSS, wie es weitergeht. Tja, so hält man die Leute am Ball...und am Weiterlesen ;).

800 Seiten hat das Buch? Oh, das hätt' ich jetzt nicht gedacht. Ist ja schon ein ziemlicher Schinken^^.



"....werde ich automatisch von Dingen mit Schiffen drauf magisch angezogen."

Das kenne ich :D. Heißt nicht, dass ich mir das dann immer kaufe, aber zumindest führt es dazu, dass schon mal generell mein Interesse geweckt ist *g*.