Wenn es in den letzten Jahren eine unglaubliche Erfolgsstory
in der Theaterszene gab, dann ist es definitiv die des Hip-Hop-Musicals
„Hamilton“. Die Show von Drehbuchautor/Texter/Komponist Lin-Manuel Miranda hat
so ziemlich alles gewonnen, was es in der Branche zu gewinnen gibt (u. a. den
Grammy, den Pulitzerpreis, und elf Tony Awards). Uraufgeführt Anfang 2015 am
Off-Broadway und im Sommer desselben Jahres dann an den New Yorker Broadway
gezogen, erfreut das Musical sich nach wie vor ungebrochener Beliebtheit beim
Publikum und spielt täglich vor ausverkauftem Haus.
Miranda konnte bereits 2008 mit dem Musical „In the Heights“
einen großen Erfolg verbuchen (die Verfilmung mit Anthony Ramos kommt 2020 in
die amerikanischen Kinos). Im Urlaub las er Ron Chernows 800-seitige Biografie
über Alexander Hamilton (entspannende Strandlektüre!) und hatte auf einmal die
Idee, aus Hamiltons bewegtem Leben ein Musical zu machen.
Hamilton war einer der Gründerväter der USA und ihr erster
Finanzminister; er kam als Waisenjunge aus der Karibik nach New York und
arbeitete sich zügig zu George Washingtons rechter Hand hoch. Für seine
Intelligenz und sein loses Mundwerk bekannt, womit er immer wieder aneckte und u. a.
mit Thomas Jefferson aneinander geriet, machte er schnell politisch Karriere,
heiratete mit Eliza Schuyler in eine angesehene Familie, und sorgte mit einer
Affäre für den ersten Sexskandal der jungen Vereinigten Staaten. Er starb 1804
im möglicherweise berühmtesten Duell der jüngeren amerikanische Geschichte durch
den damaligen Vize-Präsidenten Aaron Burr.
Im Dezember 2017 feierte „Hamilton“ in London Premiere. Das
Victoria Palace Theatre wurde mit dieser Produktion nach umfangreichen
Bauarbeiten, die eine völlige Neugestaltung der inneren Räumlichkeiten beinhalteten,
wiedereröffnet. Seitdem können sich alle Beteiligten nun auch in London über
ein ständig ausverkauftes Haus freuen.
Das Musical kommt ohne Ouvertüre aus; das Publikum wird
gleich in die Handlung geworfen, durch die uns Aaron Burr höchstpersönlich führt. Wir beginnen mit Hamiltons
Ankunft in New York, folgen ihm über Heirat, Revolution, politischen Aufstieg
und Fall, bis zu seinem Tod durch Burrs Hand. Einige der Darsteller spielen in
den zwei Akten unterschiedliche Rollen, z. B. im 1. Akt Verbündete von
Hamilton, im 2. Akt dann seine politischen Gegner oder seinen Sohn, während wir
chronologisch voranschreiten.
Die Darsteller in der besuchten Vorstellung waren alle
großartig, wobei diese Qualität natürlich für das West End typisch ist. Als
Alexander Hamilton sahen wir die alternierende Besetzung Karl Queensborough,
der Hamilton zu Beginn mit dem passenden jugendlichen Ungestüm spielt und
seinen Wandel zum ernsthafteren, älteren Mann glaubhaft macht. Großartig war
Rachelle Ann Go als Hamiltons Frau Eliza, die ebenfalls eine große Bandbreite
an Emotionen in ihrer Rolle zeigen konnte. Ebenfalls sehr präsent war Sifiso
Mazibuko als Aaron Burr, der diesen schwierigen Charakter gut in Szene setzte
und mit netten kleinen Details aufwartete (z. B. das ständige Lächeln, das
Burrs Paradesatz „Talk less, smile more“ gut unterstrich). Er ließ einen die
zunehmende Frustration spüren, die Burr für Hamilton fühlte.
In den weiteren wichtigen Rollen glänzten Sharon Rose als
Angelica Schuyler (mit ihrem hervorragenden Solo „Satisfied“), Dom
Hartley-Harris als George Washington, Stephenson Ardern-Sodje als John
Laurens/Philip Hamilton, Nuno Queimado als Marquis de Lafayette/Thomas
Jefferson und Tarinn Calender als Hercules Mulligan/James Madison (beide mit
vielen lustigen Momenten). Abgerundet wurde das Hauptensemble durch
Courtney-Mae Briggs als Peggy Schuyler/Maria Reynolds und Aaron Lee Lambert als
King George (der natürlich die großen Lacher auf seiner Seite hatte und seine
Auftritte gehörig auskostete).
Großartig war es, neben den Songs nun endlich einmal das
Staging, die Choreographie und das Lichtdesign bewundern zu können. Es gibt nur
ein großes Bühnenbild und es wird mit sehr wenigen Requisiten gearbeitet, die
vom Ensemble für Szenenwechsel eingebunden in die Choreographie herein- und
wieder hinausgebracht werden. Es gibt eine Drehbühne in der Mitte, die sehr
effektiv eingesetzt wird (z. B. für die
Zeitraffermomente in „Satisfied“ oder am Ende beim Duell zwischen Hamilton und
Burr). Auf der Bühne ist oft viel los, das Tanzensemble ist großartig und
übernimmt auch immer wieder die Rollen von Nebencharakteren.
Das sehr passende Lichtdesign rundete die Show sehr gut ab;
einzelne Spots wurden für dramatische Momente eingesetzt (oder für einen
komödiantischen Effekt); der Sound war ebenfalls bis auf wenige Ausnahmen sehr
gut (nur Burr war in einzelnen Momenten nicht ganz so gut zu verstehen).
Ich bin unglaublich froh, dass ich die Show endlich sehen
konnte. Durch die neue Ausstattung ist die Beinfreiheit im Victoria Palace
Theatre auch gar nicht so schlecht, und unsere Plätze im 1. Rang (Royal Circle)
waren ebenfalls wirklich gut. Man konnte die komplette Bühne problemlos
einsehen und durch die steile Anordnung der Stuhlreihen stören auch große
Menschen in der Reihe vor einem nicht.
Wer mit der Musik etwas anfangen kann, sollte sich
„Hamilton“ in London auf keinen Fall entgehen lassen! Die Show ist ihren Preis
definitiv wert.