Sonntag, 29. Dezember 2019

"Hamilton": Das Hitmusical der letzten Jahre in London



Wenn es in den letzten Jahren eine unglaubliche Erfolgsstory in der Theaterszene gab, dann ist es definitiv die des Hip-Hop-Musicals „Hamilton“. Die Show von Drehbuchautor/Texter/Komponist Lin-Manuel Miranda hat so ziemlich alles gewonnen, was es in der Branche zu gewinnen gibt (u. a. den Grammy, den Pulitzerpreis, und elf Tony Awards). Uraufgeführt Anfang 2015 am Off-Broadway und im Sommer desselben Jahres dann an den New Yorker Broadway gezogen, erfreut das Musical sich nach wie vor ungebrochener Beliebtheit beim Publikum und spielt täglich vor ausverkauftem Haus.

Miranda konnte bereits 2008 mit dem Musical „In the Heights“ einen großen Erfolg verbuchen (die Verfilmung mit Anthony Ramos kommt 2020 in die amerikanischen Kinos). Im Urlaub las er Ron Chernows 800-seitige Biografie über Alexander Hamilton (entspannende Strandlektüre!) und hatte auf einmal die Idee, aus Hamiltons bewegtem Leben ein Musical zu machen. 
Hamilton war einer der Gründerväter der USA und ihr erster Finanzminister; er kam als Waisenjunge aus der Karibik nach New York und arbeitete sich zügig zu George Washingtons rechter Hand hoch. Für seine Intelligenz und sein loses Mundwerk bekannt, womit er immer wieder aneckte und u. a. mit Thomas Jefferson aneinander geriet, machte er schnell politisch Karriere, heiratete mit Eliza Schuyler in eine angesehene Familie, und sorgte mit einer Affäre für den ersten Sexskandal der jungen Vereinigten Staaten. Er starb 1804 im möglicherweise berühmtesten Duell der jüngeren amerikanische Geschichte durch den damaligen Vize-Präsidenten Aaron Burr.

Im Dezember 2017 feierte „Hamilton“ in London Premiere. Das Victoria Palace Theatre wurde mit dieser Produktion nach umfangreichen Bauarbeiten, die eine völlige Neugestaltung der inneren Räumlichkeiten beinhalteten, wiedereröffnet. Seitdem können sich alle Beteiligten nun auch in London über ein ständig ausverkauftes Haus freuen.


 Da London nun einmal deutlich einfacher zu erreichen ist als New York, konnte ich mir die Möglichkeit natürlich nicht entgehen lassen, und habe diesen Oktober endlich mein aktuelles Lieblingsmusical live sehen können. Die Musik ist ein wunderbar abwechslungsreicher Mix aus Hip Hop, Rap, R&B, Soul und Jazz, mit der ein oder anderen Ballade und sogar ein bisschen Britpop (passenderweise für die kommentierenden Songs König Georges III.).
Das Musical kommt ohne Ouvertüre aus; das Publikum wird gleich in die Handlung geworfen, durch die uns Aaron Burr höchstpersönlich führt. Wir beginnen mit Hamiltons Ankunft in New York, folgen ihm über Heirat, Revolution, politischen Aufstieg und Fall, bis zu seinem Tod durch Burrs Hand. Einige der Darsteller spielen in den zwei Akten unterschiedliche Rollen, z. B. im 1. Akt Verbündete von Hamilton, im 2. Akt dann seine politischen Gegner oder seinen Sohn, während wir chronologisch voranschreiten.

Die Darsteller in der besuchten Vorstellung waren alle großartig, wobei diese Qualität natürlich für das West End typisch ist. Als Alexander Hamilton sahen wir die alternierende Besetzung Karl Queensborough, der Hamilton zu Beginn mit dem passenden jugendlichen Ungestüm spielt und seinen Wandel zum ernsthafteren, älteren Mann glaubhaft macht. Großartig war Rachelle Ann Go als Hamiltons Frau Eliza, die ebenfalls eine große Bandbreite an Emotionen in ihrer Rolle zeigen konnte. Ebenfalls sehr präsent war Sifiso Mazibuko als Aaron Burr, der diesen schwierigen Charakter gut in Szene setzte und mit netten kleinen Details aufwartete (z. B. das ständige Lächeln, das Burrs Paradesatz „Talk less, smile more“ gut unterstrich). Er ließ einen die zunehmende Frustration spüren, die Burr für Hamilton fühlte.
In den weiteren wichtigen Rollen glänzten Sharon Rose als Angelica Schuyler (mit ihrem hervorragenden Solo „Satisfied“), Dom Hartley-Harris als George Washington, Stephenson Ardern-Sodje als John Laurens/Philip Hamilton, Nuno Queimado als Marquis de Lafayette/Thomas Jefferson und Tarinn Calender als Hercules Mulligan/James Madison (beide mit vielen lustigen Momenten). Abgerundet wurde das Hauptensemble durch Courtney-Mae Briggs als Peggy Schuyler/Maria Reynolds und Aaron Lee Lambert als King George (der natürlich die großen Lacher auf seiner Seite hatte und seine Auftritte gehörig auskostete).


Großartig war es, neben den Songs nun endlich einmal das Staging, die Choreographie und das Lichtdesign bewundern zu können. Es gibt nur ein großes Bühnenbild und es wird mit sehr wenigen Requisiten gearbeitet, die vom Ensemble für Szenenwechsel eingebunden in die Choreographie herein- und wieder hinausgebracht werden. Es gibt eine Drehbühne in der Mitte, die sehr effektiv eingesetzt wird (z. B. für  die Zeitraffermomente in „Satisfied“ oder am Ende beim Duell zwischen Hamilton und Burr). Auf der Bühne ist oft viel los, das Tanzensemble ist großartig und übernimmt auch immer wieder die Rollen von Nebencharakteren.
Das sehr passende Lichtdesign rundete die Show sehr gut ab; einzelne Spots wurden für dramatische Momente eingesetzt (oder für einen komödiantischen Effekt); der Sound war ebenfalls bis auf wenige Ausnahmen sehr gut (nur Burr war in einzelnen Momenten nicht ganz so gut zu verstehen).

Ich bin unglaublich froh, dass ich die Show endlich sehen konnte. Durch die neue Ausstattung ist die Beinfreiheit im Victoria Palace Theatre auch gar nicht so schlecht, und unsere Plätze im 1. Rang (Royal Circle) waren ebenfalls wirklich gut. Man konnte die komplette Bühne problemlos einsehen und durch die steile Anordnung der Stuhlreihen stören auch große Menschen in der Reihe vor einem nicht.

Wer mit der Musik etwas anfangen kann, sollte sich „Hamilton“ in London auf keinen Fall entgehen lassen! Die Show ist ihren Preis definitiv wert.


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