Ich habe "Rapunzel" nun bereits zwei Mal gesehen und der Film begeistert mich immer mehr. Mit dem 50. Animationsfilm kann Disney definitiv an die großen Meisterwerke der Vergangenheit anschließen und ich finde es nicht vermessen, "Rapunzel" in einem Atemzug mit z. B. "Aladdin" zu nennen. Mir macht der Film einfach unglaublich Spaß! Ich fühle mich so richtig in meine Kindheit zurückversetzt, als ich mit staunenden Augen die ersten Male im Kino war und mich habe verzaubern lassen von den Märchen auf der Leinwand. Ich glaube, dass es einem Großteil der Kinder in den von mir besuchten Vorstellungen ebenso ging, allerdings ohne die Portion schönster Nostalgie, die ich bei diesem Film empfinde.
Dabei ist "Rapunzel" allerdings nicht altmodisch, oh nein. Das Grundgerüst des Märchens blieb bei der Handlung bestehen, mit kleinen Veränderungen hier und da: Rapunzel wird als Baby von Mutter Gothel entführt, weil diese die heilende und verjüngende Kraft von Rapunzels Haar für sich haben will. Gothel zieht die Kleine als ihre eigene Tochter auf, schließt sie aber aus Egoismus in einem versteckt liegenden Turm ein und erzählt ihr Schauergeschichten über die Welt außerhalb des Turms. Als kurz vor Rapunzels 18. Geburtstag auf einmal der auf der Flucht befindliche Dieb Flynn bei ihr im Turm auftaucht, überredet sie ihn, sie mit in die Stadt zu nehmen. Rapunzels Traum ist es nämlich, einmal die immer zu ihrem Geburtstag aufsteigenden Laternen aus der Nähe zu sehen. Flynn willigt - widerwillig - ein, und so nimmt das Abenteuer seinen Lauf.
Wären wir nun in einem altmodischen Märchen, würde der Held Flynn das ganze Retten übernehmen, und Rapunzel würde sich brav retten lassen. Hier ist es jedoch ein wenig anders - Rapunzel ist zwar aufgrund ihrer Lebensumstände liebenswert-naiv, aber längst nicht auf den Kopf gefallen und mit einer guten Portion Tatendrang, Neugier und Mut ausgestattet. Eigentlich ist sogar meist
sie es, die Flynn aus brenzligen Situationen rettet.
Flynn Rider ist ein charmanter Gauner, sehr von sich überzeugt und Meister darin, sich überall Feinde zu machen. Ein guter Teil seines Auftretens ist jedoch nur Fassade und eigentlich ist er ein wirklich netter Kerl. Natürlich stellen er und Rapunzel irgendwann fest, dass sie etwas füreinander empfinden. *seufz* Muss ja nicht immer ein
Prinz auf einem weißen Hengst sein.
Um vielleicht noch letzte Zweifler zu beruhigen: Trotz der Überpräsenz Flynns in den Trailern ist dies wirklich Rapunzels Film, ihr Weg in die Unabhängigkeit (sozusagen). Flynn ist... auch dabei. ;) Und der Film besteht auch nicht nur aus slapstickartigem Humor.
Ach so, da gibt es ja noch die tierischen Sidekicks, ohne die ein Disneyfilm einfach kein Disneyfilm wäre. Das sind das Chamäleon Pascal, Rapunzels treuer (und einziger) Freund, und das Palastpferd Maximus, das den Job seines Reiters erledigt und Flynn verfolgt. Sie sprechen zwar nicht (hätte ich in diesem Film auch irgendwie unpassend gefunden), haben aber so eine großartige Mimik und Körpersprache, dass sie häufig die Show stehlen. Beide kamen bisher in jeder der von mir besuchten Vorstellungen besonders gut an und leben von sehr gutem Timing.
Der Bösewicht des Films, Mutter Gothel (die übrigens kein einziges Mal mit ihrem Namen genannt wird), ist auch sehr gut gelungen. Wie man liest, wurden Disney-Mitarbeiter befragt, welche Eigenschaften sie an Müttern besonders schrecklich finden, und dies floss alles in Gothel mit ein. Vom ständigen Wangekneifen, über gemeine Bemerkungen bis hin zu knallharten, für die andere Person nicht wirklich nachvollziehbaren Verboten ist alles dabei. Die Beziehung zwischen ihr und Rapunzel ist kompliziert; ich hab mich noch immer nicht entschieden, ob sie Rapunzel wirklich
nur wegen der magischen Haaren mag, oder ob sie das Mädchen nicht auch so zumindest ein wenig liebt. Mit fortschreitender Handlung wird sie jedoch immer hinterhältiger und gemeiner und braucht sich vor den klassischen Disney-Bösewichten keineswegs zu verstecken.
Die deutsche Synchronisation ist meiner Meinung nach sehr gut gelungen. Ich kann natürlich nur die Lieder wirklich vergleichen, aber da gefallen mir eigentlich sowohl die deutschen als auch die englischen Versionen ziemlich gleich gut, nur das Kneipenlied "Ich hab 'nen Traum" finde ich auf Deutsch deutlich überzeugender.
Alexandra Neldel ist absolut gelungen besetzt und vermittelt Rapunzels Emotionen sehr glaubwürdig. Die Rolle passt, man nimmt sie ihr ab. Rapunzels Singstimme, Pia Allgaier, hat mir ebenfalls sehr gut gefallen, und sie klingt im Grunde so wie die Neldel. Wirklich gut ausgewählt.
Moritz Bleibtreu wurde ja im Vorfeld ganz besonders kritisch beäugt (wozu gerade Disneyfans sehr stark neigen - jeder Promi ist aus Prinzip erstmal schlecht, außer er ist Comedian *g*). Ich finde, er hat seine Sache gut gemacht. Seine Stimme passt auf jeden Fall zu Flynn, und auch wenn er das leicht Schnoddrige in seiner Stimme nicht immer komplett ablegt, ging es mir nie auf die Nerven oder kam mir unpassend vor. Gute Leistung, es können sich bitte alle wieder abregen. Gesungen wird er von Manuel Straube (bekannt als Stewie aus "Family Guy", aber er sang 1994 bereits den jungen Simba in "Der König der Löwen" und sprach Emile in "Ratatouille"), dessen Stimme gut zu Bleibtreus passt und in den kurzen Gesangspassagen abliefert.
Mutter Gothel wird von Monika Bielenstein gesprochen, einem alten Hasen im Synchrongeschäft (u. a. Emma Thompson, Cybill Shepherd, aber auch schon für Disney als Bianca in "Bernard und Bianca im Känguruhland" und Rita in "Oliver & Co."). Sie ist absolut glaubwürdig und zieht alle Register von "liebe Mutti" bis "böses Miststück". Gesungen wird Gothel von Christine Leyser, ebenfalls passend gewählt. Sie ist im ersten Einsatz des Liedes "Mutter weiß mehr" freundlicher als ihr englisches Pendant Donna Murphy, was ich nicht unbedingt als störend empfinde. So ist der Kontrast zu der späteren Reprise des Liedes stärker. Der Text fließt allerdings im Original etwas besser.
René Marik, wohl am ehesten durch seine "Rapante Rapante"-Videos auf Youtube bekannt, spricht die Stabbington-Brüder, welche von Flynn hintergegangen wurden und auf Rache sinnen. Ich weiß nicht, warum Marik für die Rolle gewählt wurde - da gibt es doch genug Sprecher, die von Natur aus eine dunkle Stimme haben. Er muss sich offensichtlich bemühen, diese knurrige Tonlage zu erreichen, es bewegt sich aber noch im Rahmen.
Alle anderen Sprecher sind gut gewählt und ich hab mich gefreut, als Maximus' Reiter ausgerechnet Jörg Hengstler herauszuhören (u. a. Quentin Tarantino, Kogoro Mori in "Detektiv Conan"). Juhu!
Was ein richtiges Disney-Märchen ist, braucht natürlich auch Lieder. Diese wurden vom altbewährten Alan Menken komponiert, dem wir schon die Klassiker aus "Arielle" und "Die Schöne und das Biest" zu verdanken haben. Er hat diesmal keine großen Broadway-Shownummern komponiert, für die eigens eine Szene geschrieben wurde, sondern Lieder, die sich logisch aus der Szene entwickeln, wandelt also eher auf der Pfaden früherer Disney-Märchen wie "Dornröschen". Sie treiben die Handlung voran oder erzählen etwas über die Charaktere, wodurch der Zuschauer die einzelnen Motivationen besser nachvollziehen kann.
Rapunzel hat mit "Wann fängt mein Leben an" einen hübschen Opener bekommen, der allerdings zuerst ein wenig Disney-untypisch klingt, in der späteren Reprise aber zulegt. Gothels "Mutter weiß mehr" ist v. a. aufgrund des Textes sehr interessant, in dem sie Rapunzel vor all den Gefahren der Außenwelt warnt und ihr gleichzeitig einbläut, dass sie allein draußen niemals zurechtkommen würde. Die Reprise ist großartig und auch sehr gut inszeniert. Ein bisschen lasch ist die Kneipennummer "Ich hab 'nen Traum" - sie ist nett gemacht und auch zum Mitschunkeln geeignet, hätte aber nicht unbedingt sein müssen.
Das Herzstück der Lieder ist jedoch "Endlich seh ich das Licht", die große Ballade von Rapunzel und Flynn. Das Lied an sich ist eine wirklich hübsche Ballade, kein Lied für großen Beltgesang, sondern zarter, ans Herz gehend. Und das Lied hat das große Glück, in einem der schönsten Momente der Disney-Animationsgeschichte vorzukommen: Der Laternenszene. Wenn Flynn und Rapunzel in ihrem Boot sitzen, auf das Schloss schauen und von tausenden Laternen umgeben werden, ist das atemberaubend schön und einfach ... magisch. Für diese Szene allein lohnt sich der Film. Und für die schöne Stadt-Montage zu irisch angehauchter Tanzmusik.
Noch kurz etwas zum technischen Aspekt von "Rapunzel". An der Computeranimation gibt es absolut nichts zu bemängeln; man hat es tatsächlich geschafft, die Zeichentrickoptik der Figuren glaubwürdig zu übertragen. Die Hintergründe sind ein Traum, und hier wurde auch oft die vorher so angepriesene Ölgemäldeoptik angewendet. Ich hatte zwar davon gehört, habe jetzt aber nicht auf die große Revolution der CGI-Animation gehofft, von daher war ich kein bisschen enttäuscht, sondern einfach nur begeistert von der wunderschönen Animation. Besonders der Einsatz von Licht ist beeindruckend!
Der 3D-Effekt wird hauptsächlich zur Vertiefung des Bildes eingesetzt, nur bei der Laternen-Szene wird stark mit aus der Leinwand heraustretenden Bildern gearbeitet. Und das kommt bei den Kindern immer besonders gut an - jedes Mal gab es erstaunte Ohs und Ahs.
Das einzig Negative, was mir einfällt, ist, dass die Handlung nicht gerade den Originalitätspreis gewinnt. Hatte ich jedoch auch nicht erwartet, und man hat das Märchen doch ganz ordentlich aufgepeppt, ohne sich darüber in irgendeiner Weise lustig zu machen.
Lange Rede, kurzer Sinn: Disneys "Rapunzel" ist ein wunderbarer Film für die ganze Familie, gleichzeitig Hommage an die glorreiche Disney-Märchentradition und Weiterentwicklung für unsere heutige Zeit. Der Film ist witzig, dramatisch, romantisch, mit einer guten Portion Action drin und sieht auch noch großartig aus. Also, perfekt für die Weihnachtszeit! Reingehen!