Samstag, 27. November 2010

Carlos Ruiz Zafón: "Der Schatten des Windes"

Ehrlich gesagt sollte an dieser Stelle endlich mal wieder eine Filmkritik stehen. Die kommt aber dann wohl doch eher morgen. Jetzt muss ich erst einmal meiner Begeisterung für "Der Schatten des Windes" Luft machen!

"Bücher sind Spiegel: Man sieht in ihnen nur, was man schon in sich hat."

Der junge Daniel lernt durch seinen Vater, einem Buchhändler im Barcelona der Nachkriegszeit, den "Friedhof der Vergessenen Bücher" kennen. In dieser riesigen Bibliothek darf er sich ein Buch aussuchen. Er entscheidet sich für "Der Schatten des Windes", welches ihn in seinen Bann zieht. In den folgenden Jahren macht er sich daran, etwas über den Autor Julián Carax herauszufinden, von dem aber niemand zu wissen scheint, ob er überhaupt noch lebt. Immer mehr gerät Daniels Leben zu einer Wiederholung vergangener Ereignisse und nur langsam wird ihm bewusst, welch schlafende Hunde er mit seinen Nachforschungen geweckt hat.

Ich bin hin und weg von diesem Roman. Gekauft habe ich ihn mir wegen der überaus positiven Kritiken und weil mich die Handlung ansprach. Hätte ich die letzten Wochen mehr Zeit gehabt, hätte ich ihn vermutlich an einem Tag ausgelesen, denn es handelt sich um eines dieser Bücher, das man nicht mehr aus der Hand legen will, wenn man erst einmal mit dem Lesen angefangen hat. Es lässt einen nicht mehr los.

Die Geschichte um das Mysterium Julián Carax ist großartig erzählt, mit vielen Rückblenden, durch die dem Leser immer deutlicher bewusst wird, wie die Parallelen zwischen Daniels und Juliáns Leben mehr und mehr zunehmen. Der Schreibstil ist sehr flüssig zu lesen, mit atmosphärischen Beschreibungen, aber auch häufig mit einem gewissen ironischen Unterton, der das Ganze noch einmal extra unterhaltsam macht.

Die Charaktere sind absolut greifbar und hervorragend ausgearbeitet. Daniel ist ein ausgezeichneter Protagonist, bei Weitem nicht perfekt, aber er macht eine deutliche Entwicklung durch und ist mir richtig ans Herz gewachsen. Noch mehr ans Herz gewachsen ist mir aber Fermín Romero de Torres, ein ehemaliger Spion und nach Ende des Bürgerkriegs in Ungnade gefallen, der Daniel in einer misslichen Lage hilft und von diesem zum Dank in der Buchhandlung angestellt wird. Er hilft Daniel tatkräftig bei seinen Nachforschungen, ist dazu ein kleiner Schwerenöter und nicht auf den Mund gefallen. Mit Beatrix Aguilar, Schwester von Daniels Freund Tomás, der Femme-Fatale-ähnlichen Nuria Montfort oder der bezaubernd schönen Penélope hat der Roman auch einige interessante Frauenfiguren zu bieten.
Am Rande des Ganzen droht der Schatten von Inspektor Javier Fumero, berüchtigt für seine Skrupellosigkeit und Gewaltbereitschaft, der auf der Suche nach Fermín ist. Eine wirklich hassenswerte Gestalt.

Ich fand es faszinierend zu sehen, wie sich die Puzzlestückchen um Caraxs Vergangenheit nach und nach zusammensetzten - häufig lief mir bei mancher Wendung oder Auflösung ein kalter Schauer über den Rücken. Wie Zafón die einzelnen Fäden miteinander verwebt, bis sie ein klares Ganzes ergeben, ist grandios und fesselnd bis zum Schluss.

Obwohl die Handlung hauptsächlich im Barcelona der 50er Jahre spielt und auch tatsächlich real sein könnte, habe ich beinahe das Gefühl, einen ausgeklügelten Fantasy-Roman gelesen zu haben. Ich kann nicht genau erklären, warum. Vermutlich liegt es an der Grundstimmung des Romans; voller Geheimnisse, mit vielen Charakteren, die etwas zu verbergen haben, und dann noch angesiedelt im fernen Barcelona vergangener Zeit.

Ich glaube, mit dem folgenden Absatz von S. 13 war es um mich geschehen:

"Einmal hörte ich einen Stammkunden in der Buchhandlung zu meinem Vater sagen, wenige Dinge prägten einen Leser so sehr wie das erste Buch, das sich wirklich einen Weg zu seinem Herzen bahne. Diese ersten Seiten, das Echo dieser Worte, die wir zurückgelassen glauben, begleiten uns ein Leben lang und meißeln in unserer Erinnerung einen Palast, zu dem wir früher oder später zurückkehren werden, egal, wie viele Bücher wir lesen, wie viele Welten wir entdecken, wieviel wir lernen oder vergessen. Für mich werden diese verzauberten Seiten immer diejenigen sein, die ich auf den Gängen des Friedhofs der Vergessenen Bücher fand."

"Der Schatten des Windes" ist eines der besten Bücher, das ich je gelesen habe. Ich habe gelacht. Ich habe geweint. Mehrmals. Vor Rührung, vor Trauer, vor Freude. Ich habe mir Zitate aus dem Buch geschrieben, was ich sonst nie tue. So muss wohl ein gutes Buch sein, denke ich.

Unbedingte Kaufempfehlung.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Tolles Buch - ich habe es vor ein paar Jahren gelesen und nach dieser Rezension hole ich es, glaube ich, wieder aus dem Buecherregal heraus. Der Nachfolger "The Angel's Game" (weiss nicht, wie es auf Deutsch heisst) ist uebrigens fast genauso gut!

Luanalara hat gesagt…

Ich war selbst ein wenig überrascht wie gut es mir gefallen hat. Ist definitiv ein erneutes Leser wert! :)

Der Nachfolger heißt auf Deutsch "Das Spiel der Engel"; muss ich mir auch noch unbedingt zulegen.

Mel hat gesagt…

Das Buch ist wirklich wunderschön :) Und das Zitat, das du rausgeschrieben hast, hab ich mir unter anderem auch notiert! :D
Ich versuch jetzt mal, hier deine Kommis (über die ich mich voll gefreut hab^^) bündig zu beantworten. Blogger hat ja leider nach wie vor keine ordentliche Antwort-Funktion, weshalb alles immer ein bisschen mühsam ist :P
Ich mache an der Uni im Moment auch so ein IT-Zeug und hab da eine kleine (hässliche, weil minimalistische) Website erstellt. Durchs Bloggen kannte ich schon ein bisschen was und konnte mehr rumexperimentieren, als die meisten. Das war schon cool :D
Den Heiratsantrag kannte ich noch gar nicht! Voll süß - da kann man ja gar nicht mehr nein sagen ♥
Jap, manchmal habe ich das Gefühl, Literaturkritiker leben in einer anderen Welt :P Deshalb bin ich so unendlich froh, dass es das Internet und viele tolle Bücherblogs gibt, auf denen Lesetipps zu finden sind, die keinen Doktor-Titel in Literaturwissenschaft voraussetzen :)

Luanalara hat gesagt…

Ich schreibe eher selten Zitate raus, aber bei diesem Buch juckte es mich gleich in den Fingern. *g*

Bitte bitte für die Kommis.^^ Ich dachte nachher nur, wie blöd das ist, weil ich da keine Email-Adresse hinterlegen konnte. Den letzten von heute hab ich jetzt mal über Blogger versucht. *seufz* Das ist hier wirklich was mühsam und klappt bei Livejournal deutlich besser.^^

Ich hab nach den Antragsvideos gleich noch ein paar mehr geguckt, aber die beiden fand ich (zusammen mit diesem TV-Show-14 min-Marathon) einfach am schönsten.